Résumé: | Die Medizin stellte einen der Brennpunkte des kulturellen Wandels dar, den das Judentum infolge der Aufklärung zwischen etwa 1750 und 1850 durchlief. Die teilweise bereits veröffentlichten Forschungen Eberhard Wolffs im Rahmen eines DFG-Projekts haben gezeigt, wie sehr jüdische Ärzte der Haskala nahestanden und den Zugang in die bürgerliche Gesellschaft suchten, indem sie zunächst unter anderem als »Gelehrte« und später als »Reformer« des Judentums auftraten. Deutlich wird einerseits der starke Wunsch reformorientierter Juden nach einer Ausrichtung an bürgerlich-aufklärerischen bzw. an weltlichen Werten. Andererseits fällt das Bestreben auf, dabei die Verankerung in ihrem jüdischen Selbstverständnis nicht preiszugeben. Die Lösung, die die Reformer anboten bzw. lebten, war ein flexiblerer Umgang mit der religiösen Tradition, eine auf die Funktion als Konfession reduzierte und innerliche jüdische Religiosität, die sich aus weltlichen Lebensbereichen zurückzog, sowie das Vordringen eines weltlichen Verständnisses von Judentum. Zwischen den 1750er und den 1780er Jahren bauten jüdische Ärzte eine eigene professionelle Identität jenseits ihrer religiösen bzw. ethnischen Herkunft auf, nicht zuletzt mit dem Ziel einer Integration in die bürgerliche Gesellschaft dieser Zeit. Seit den späten 1780er Jahren brach sich dann, wie Eberhard Wolff zeigen konnte, öffentlich das neue Rollenmodell des »Reformers« des Judentums Bahn. Dahinter stand das Ziel einer gesellschaftlichen Integration und Emanzipation – nun auch für die restliche jüdische Bevölkerung. Nachdem einer der bekannteren Aufklärer, der Berliner Arzt und Kant-Schüler Marcus Herz, das Gebot der zeitigen Beerdigung unter den Juden einer radikalen Kritik unterzogen hatte, arbeitete ein guter Teil der jüdischen Ärzte öffentlich an der »bürgerlichen Verbesserung« der Juden (in Anlehnung an die gleichnamigen Veröffentlichungen des preußischen Kriegsrats Dohm 1781 und 1783) und an einem modernen Religionsverständnis.
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