Résumé: | Die lange in der Forschung dominierende Erzählung vom scholastisch-humanistischen Gegensatz, der das gelehrte Leben im 15. und frühen 16. Jahrhundert geprägt habe, wird heute kaum noch vorbehaltlos akzeptiert. Tatsächlich basiert die Annahme eines epochalen Ringens zwischen Scholastik und Humanismus vor allem auf der Selbstpräsentation der Vertreter eines emphatischen Humanismus. Allerdings handelt es sich hierbei nicht einfach um eine falsche Wiedergabe der Wirklichkeit, sondern vielmehr um eine humanistische Grenzpolitik, die aktiv daran arbeitete, das gelehrte Feld im Zeichen eines Antagonismus zwischen Humanismus und Scholastik inhaltlich, institutionell und personell neu zu ordnen. Der Konflikt um Johannes Reuchlin stellt einen Markstein dieser Grenzpolitik dar: Begonnen als Auseinandersetzung um die Frage, wie mit jüdischen Büchern umzugehen sei, bemächtigten sich die Vertreter eines emphatisch-selbstbewussten Humanismus der Auseinandersetzung, deuteten sie um und instrumentalisierten sie, um solche Gelehrte aus dem Feld zu schlagen, die gleichermaßen gegenüber humanistischen und scholastischen Techniken und Inhalten kommunikativ anschlussfähig bleiben wollten. Um Unterstützung zu gewinnen, hatte Reuchlin selbst zunächst eine derartige Interpretation nahegelegt. Dass die Auseinandersetzung von humanistischer Seite jedoch antagonistisch genutzt wurde, führte letztlich dazu, dass sein Anliegen, jüdisches Wissen in Gestalt der christlichen Kabbala für die christliche Tradition nutzbar zu machen, weit in den Hintergrund trat. Today, there is hardly anybody who wholeheartedly accepts the master narrative of the scholastic-humanistic opposition as constitutive factor of learned life in the 15th and early 16th centuries. To assume that scholasticism and humanism were entangled in an epic battle means to follow uncritically the self-fashioning of the proponents of an emphatic humanism. But this view was not just caused by a false representation of reality. On the contrary, it was the result of border politics which aimed to reconfigure the field of learning by establishing an antagonism between scholasticism and humanism. The Reuchlin affair is a landmark in this process. What had started as a conflict on the question how to deal with Jewish books, was seized by the proponents of an emphatic humanism: They reframed the affair and exploited it to ban those men of learning who wanted to use humanistic as well as scholastic techniques and contents. In order to gain support, Reuchlin himself had alluded to this interpretation of events. But by exploiting the affair to create an antagonism between scholasticism and humanism, the humanists eclipsed Reuchlin’s concern to use Jewish knowledge for the Christian tradition by promoting his Christian cabala.
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